Warum “Morgen hör ich auf” kein neues “Breaking Bad” ist
Bevor ich auch nur eine Sekunde von “Morgen hör ich auf” gesehen hatte, hatte ich scheinbar auch schon alles gelesen, was wichtig war. Auf Twitter war man sich nach der Veröffentlichung der Ankündigung einig: “Och jo, ein deutsches ‘Breaking Bad'”. Der Inhalt im Groben: Ein Druckerei-Besitzer (Bastian Pastewka) steigt ins Geldwäsche-Geschäft ein, um die drohende Insolvenz abzuwenden.
Nun ist es vermutlich absurd, dass jemand eine Webseite mit Kritiken über Fernsehserien und Filme betreibt, der es vermeidet, Kritiken über Fernsehserien und Filme zu lesen. Ehrlich gesagt: Ich hasse Kritiken, Reviews oder wie auch immer man sie nennen mag. Sie nehmen mir den Spaß, bevor mir klar war, dass ich Spaß haben könnte. Es gibt nichts Unsinnigeres, als Kritiken zu lesen, bevor man den Film oder die Serie selbst gesehen hat. Die Steigerung davon ist das, was täglich in sozialen Netzwerken passiert: Dinge werden bewertet und kritisiert auf der Basis von NICHTS. Menschen, die noch nicht mal eine Sekunde gesehen haben, drehen ihren Daumen bereits in eine Richtung; meistens nach unten. Ich maße es mir nicht an, eine Serie zu kritisieren, die ich nicht kenne. Und Kritiken lese ich erst, wenn ich den Stoff bereits kenne. Wer meint, er bekäme mit einer Kritik einen Hinweis für sein eigenes Leben dahingehend, ob er dann überhaupt einschalten müsse, der irrt. Denn auch hinter einer Kritik steckt nur ein Mensch, der eine eigene Meinung hat, die mit allem, was man selbst schätzt oder mag, anders liegen kann. Vor Jahren schrieb ich mal eine “Tatort”-Kritik für meinen ehemaligen Arbeitgeber, eine regionale Tageszeitung. Ich verriss diesen Krimi, es war einer dieser gähnend langweiligen Filme vom Bodensee. Drei Tage nach der Ausstrahlung bekam ich eine Mail von einem Leser, der mir relativ unhöflich mitteilte, dass er froh sei, eingeschaltet und sich nicht auf mein Urteil verlassen zu haben. Ich schrieb zurück, dass mich freue, dass ihm der Film gefallen habe, aber das eine Kritik eben immer nur eine Meinungsäußerung sei – und dass DARIN jeder Mensch Experte ist. Dafür muss man nicht Dutzende Filme oder Serien über einen Zeitraum von 30 Jahren gesehen haben.
Zurück zu Pastewkas Fünfteiler: Nun muss ich dazu sagen, dass ich “Breaking Bad” nicht besonders gut fand. Darauf folgt meistens die Frage, wie viel davon ich denn gesehen habe. Eine Staffel. Ich habe mir diesen Quark eine Staffel angetan und dann aufgegeben. Ich habe es wirklich versucht. Es gefiel mir aus einem einfachen Grund nicht: Keiner der Charaktere war sympathisch. Ich konnte mich auf keine Seite schlagen, mit niemandem mitfühlen oder vielleicht auch nur inbrünstig scheiße finden. Walter Whites Familie war einfach nur nervtötend – sollte sie ja auch sein – und Walter White selbst blieb für mein Empfinden in dieser ersten Staffel extrem blass. Vielleicht war der Charakter so angelegt, aber mir gefiel das einfach nicht. Die Serie war gut gemacht, klasse inszeniert und der Plot war neu und einzigartig, aber ich hatte meinen Zenit an Serien, in denen Antihelden zum Protagonisten gemacht werden, vielleicht überschritten.
Nun habe ich leider die erste Folge von “Morgen hör ich auf” nicht gesehen. Gestern schaute ich dann trotzdem Folge zwei und war froh über die kurze Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse. Und dann war ich erschrocken darüber, wie düster das ist. Ja, da gibt es auch mal Gewalt. Ja, da bleiben Fragen unbeantwortet. Die Autoren wagen einen Blick in die tiefen Abgründe eines Menschen, der droht, alles zu verlieren. Familie, Firma, Ansehen, Geld. Ja, das ist thematisch nah an “Breaking Bad”. Da hört der Vergleich für mich aber auch schon auf. Dass ein Mensch kriminell wird, um seinen Status zu bewahren, sehen wir jeden Tag in schlechten Krimiserien und im realen Leben in Unternehmen, der Politik und der Gesellschaft. Das haben nicht die Autoren von “Breaking Bad” erfunden.
Ich finde die Reihe erstaunlich gut gemacht, überraschend düster (wie bereits erwähnt) und erfrischend schnell in der Taktung. Man hat nur fünf Folgen (zum Glück, denn nicht alles muss in acht Staffeln erzählt werden) und die haben es in sich. Auch hier schon ein gravierender Unterschied zu “Breaking Bad”, das man locker auch in einer Staffel hätte erzählen können. Nachdem ich mal gelesen hatte, was Walter White noch alles passiert war, fragte ich mich, ob es eigentlich noch haarsträubender geht. Gut, dass man hier der Erzählung von “Morgen hör ich auf” erst mal Grenzen gesetzt hat.
Überraschend ernst und dunkel wirkt auch Bastian Pastewka. Heute, nach einer Nacht ‘drüber schlafen’ bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich ihn wirklich zu hundert Prozent ernst nehmen kann. Er hat nun mal einen Stempel quer über seinem Gesicht, darauf steht “witzig” und nicht “ernst”. Ich habe keine Ahnung, ob man diesen Stempel irgendwie ausradieren kann, mir fällt es noch ein bisschen schwer, ihn zu ignorieren. Im Nachhinein ging es mir schon so, dass ich zwischendurch auf eine Pointe, ein dümmliches Grinsen oder einen lustigen Spruch wartete. Der kam nicht. Vielleicht ist es aber auch die Aufgabe des Zuschauers, diese Trennung selbst zu leisten, vielleicht ist das nicht die Aufgabe des Schauspielers. Bastian Pastewka gibt sein Bestes, seine Co-Stars ebenfalls – und das sollte man gebührend anerkennen. Ich bin froh, dass sich das ZDF an die Thematik ranwagt. Innovative Stoffe selbst zu entwickeln – davon ist das deutsche Fernsehen weit entfernt (abgesehen vom Tatort-Reiniger und Weissensee, vielleicht). Ich kann also gut damit leben, dass erst einmal eine Vorlage wirklich ansehnlich adaptiert wurde. Ich freue mich auf die kommenden drei Folgen! Das ist gute Abendunterhaltung und der deutsche Standard-Nörgler sollte mal kurz innehalten und sich fragen, was zur gleichen Zeit Annehmbares auf den anderen Kanälen im Fernsehen lief. Die Antwort ist einfach: nichts! Wie jeden verdammten Abend.