Roadtrip durch die nahe Hölle: “Civil War” ist ein wichtiger Film
Zombies haben etwas Beruhigendes. Das haben sie mit Meteoren und Aliens gemeinsam. Denn sie erinnern uns daran, dass die Apokalypse auf Leinwand oder Bildschirm nur eine Fiktion ist, ein Märchen jenseits unserer Realität. In Alex Garlands neuem Film “Civil War” gibt es keine Untoten und keine Außerirdischen. Er spielt in der Welt, wie wir sie kennen. Und zeigt apokalyptische Szenarien, aus denen es kein Entkommen gibt.
In den einst Vereinigten Staaten herrscht Bürgerkrieg. Der Präsident (Nick Offerman) hat verbotenerweise eine dritte Amtszeit angetreten und sich – geschützt durch die Streitkräfte – im Weißen Haus verschanzt. Ausgerechnet Texas und Kalifornien sind eine Koalition eingegangen und ziehen mit Panzern und Hubschraubern gegen Washington. In den Wirren der Unruhen versuchen Pressefotografin Lee (Kirsten Dunst) und ihre Kollegen, ebenfalls zur Hauptstadt zu gelangen, um mit dem Staatschef ein letztes Interview vor der Kapitulation zu führen. Unterwegs geht es den Kriegsreportern nur darum, die beste Aufnahme zu machen, das eine Bild als Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn. Wenn Menschen im Kugelhagel sterben, blutüberströmt schreien, verzweifelt fliehen – dann tun sie dasselbe wie die Soldaten, denen sie folgen. Sie halten drauf.
“Civil War” ist kein schöner Film, aber ein ästhetischer. Regisseur und Autor Garland zeigt uns die Brutalität des Krieges in atemberaubenden Aufnahmen, schneidet die Fotos dazwischen, die die Protagonisten machen, findet eine stille Poesie in Kampflärm und Todesschreien. Der Sound untermalt das, beklemmende Stille wechselt sich ab mit schmerzhaftem Lärm. In einem zerstörten Land herrscht das Chaos, politische Ziele spielen allenfalls vordergründig eine Rolle. Daher geht der mitunter geäußerte Vorwurf, der Filmemacher positioniere sich nicht, ins Leere: Wir blicken den Kriegsberichterstattern buchstäblich über die Schulter, sind wie sie nur Zeugen des Geschehens, das sie protokollieren statt es zu bewerten.
Jeder und jede von uns sieht praktisch täglich Film- und Fotoaufnahmen aus Krisengebieten. Wir sehen verhungernde Menschen, sterbende Menschen, tötende Menschen, den toten kleinen jungen am Strand. Wir sind bestens im Bilde, geschützt durch räumliche Distanz und emotionale Abstumpfung, weil unser Verstand sich letztlich weigert, mehr darin zu sehen als einen Hollywood-Film. Und nun kommt ein Film aus der Traumfabrik, der diese Distanz wegnimmt, der uns die Menschen hinter der Kamera zeigt, deren einziger Schutz ein Objektiv ist und höchstens noch ein Warnweste mit der Aufschrift “Presse”.
Garlands Meisterwerk versetzt den Zuschauer mitten in den Untergang. Er zeigt, was ihr Job mit den Hauptfiguren macht. Da ist Sammy (Stephen McKinley Henderson), ein alter Hase auf seiner letzten Reise, körperlich am Ende und getrieben von dem, was sein Leben war. Da ist die junge Anfängerin Jessie (Cailee Spaeny), die der Roadtrip durch die Hölle verändern wird. Da ist Joel (Wagner Moura), der seine inneren Dämonen mit Alkohol betäubt und doch nicht anders kann, als seine Aufgabe zu erfüllen. Und da ist Lee, die sich eingestehen muss, längst gebrochen zu sein von dem Tod und dem Verderben um sie herum, die sie mit professioneller Routine zu beherrschen versucht.
Grandios gespielt, meisterlich in Szene gesetzt und von brutaler Wucht: “Civil War” ist ein dramatischer Roadmovie, ein bildgewaltiger Blick auf eine Zukunft, die wir noch vor wenigen Jahren als reine Fiktion abgetan hätten. Es ist ein grausamer und poetischer Film, voller Schrecken und Schönheit, ein nachhaltiger, packender, ein wichtiger Film.
Und er macht viel mehr Angst, als Zombies das je könnten.