“Ready Player One”: Perfekte Unterhaltung statt Game Over
Im Jahr 2045 sieht die Welt so aus, wie wir uns die nahe Zukunft heute vorstellen – also kaputt und trist. “Die anhaltende Energiekrise. Der katastrophale Klimawandel. Hungersnöte, Armut und Krankheit. Ein halbes Dutzend Kriege. Sie wissen schon: ‘Vierzig Jahre Dunkelheit, Erdbeben, Vulkanausbrüche. Die Toten erheben sich. Menschenopfer. Hunde und Katzen leben miteinander. Massenhysterie!'” So beschreibt Autor Ernest Cline den Zustand der Erde in seinem Roman “Ready Player One”, und der gleichnamige Film deutet das zumindest an. Denn Hauptcharakter Wade (Tye Sheridan) lebt mit seiner Tante und deren wechselnden Liebhabern in einer im Wortsinn zusammengeschweißten Slum-Baracke in Ohio. So etwas wie Privatsphäre gibt es für die zusammengepferchten Bewohner des Unterschicht-Viertels nicht. Ihr Leben besteht aus Müll, Rost und Pizza per Drohne. Und aus der “Oasis”. Dabei handelt es sich um ein umfangreiches Multiplayer-Online-Game, eine virtuelle Realität, die jedem Spieler die Möglichkeit gibt, der tristen Realität zu entfliehen und zu sein, wer er sein will.
Wades Alter Ego ist der elfenartige Draufgänger Parzival, der mit seinem Sidekick, dem hünenhaften Mechaniker Aech, knallbunte Abenteuer auf fernen Planeten und bei einem rasanten Autorennen erlebt. Wie jedes Spiel hat auch die “Oasis” ein Ziel: Ihr Schöpfer, der autistische Programmierer James Donovan Halliday (Mark Rylance), hat vor seinem Ableben die Aufgabe hinterlassen, drei versteckte Schlüssel – klassische Easter Eggs – zu finden, die die Kontrolle über die komplette Digitalwelt ermöglichen. Für Wade/Parzival und seine Kontrahenten ist diese Suche nach dem Heiligen Gral mehr als nur ein Spiel. Denn die Erlebnisse in der “Oasis” haben durchaus Auswirkungen auf das echte Leben der Protagonisten: Eine virtuelle Währung, die tatsächliches Geld kostet beziehungsweise bringt, und immer perfektere werdende Virtual-Reality-Anzüge sorgen dafür. Während die meisten Spieler also auf der Jagd nach einer Fluchtmöglichkeit aus ihrem Dasein sind, spielt der sinistre Großkonzern Amaz…, äh: IOI mit gezinkten Karten. Dessen Chef Nolan Sorrento (Ben Mendelsohn) ist in der “Oasis” nur unwesentlich finsterer als im wahren Leben und setzt alles daran, die Macht über das Erbe seines einstigen Bosses zu erlangen. Notfalls mit Gewalt, wie Wade schon bald zu spüren bekommt.
Als er eine “Oasis”-Spielerin mit dem Avatar-Namen Art3mis kennen lernt, ist es rasch vorbei mit seinem vergleichsweise ruhigen Leben im Container. Sie nimmt Parzival und somit dessen 18-jährigen Spieler selbst mit in die Schlacht zwischen Gut und Böse – die nicht nur virtuell ausgetragen wird, sondern Einfluss auf das gesamte Leben auf der Erde hat. Und so fliegen schon bald die Fetzen – als Computergrafik, aber auch in Columbus/Ohio.
Endlich! Steven Spielberg hat nach einer Reihe sicherlich guter und wichtiger, aber für die frühen Fans seines Schaffens zu ernster Filme zurückgefunden zu dem, was ihn in den 80ern zu einem der größten Regisseure der Traumfabrik machte. “Ready Player One” atmet zu jeder Sekunde das, was Spielbergs Schaffen damals ausmachte: Abenteuer, Spannung, Action und Unterhaltung – und zwar (soviel vorab) für die ganze Familie. Dies ist ein Film für Zwölfjährige und solche Erwachsene, die sich nach der großäugigen Naivität zurücksehnen, mit der sie seinerzeit staunend im Kinosessel saßen. Wer erinnert sich noch daran, als er zum ersten Mal “Zurück in die Zukunft” gesehen hat? So fühlt sich der neueste Streich des Meisters an – und das ist verdammt gut so.
Natürlich ist die Story vergleichsweise schlicht. Es gibt eine klare Einteilung in die gierigen Bösen mit ihrer Kaltschnäuzigkeit und unnachgiebigen Kontrollsucht einerseits und die charmanten, stets loyalen und mutigen Guten andererseits. Es ist die klassische Geschichte vom scheinbar unbesiegbaren Feind, dem eine bunt zusammengewürfelte Gruppe ihre Freundschaft und ihre Abenteuerlust entgegensetzt. Ebenso natürlich ist Clines Geschichte, die hier verfilmt wurde, nicht gerade übermäßig originell: “Tron” trifft “Matrix”, dazu ein Hauch “Avatar”, ein Spritzer “Surrogates” und eine Prise “The Last Starfighter”. Aber was hat Spielberg daraus gemacht! Selten, möglicherweise noch nie gab es in einem Film derart viel zu entdecken. In jeder Ecke wimmelt es vor Gastauftritten, Anspielungen und Details, die das Nerd-Herz höher schlagen lassen. Hier gibt es wie immer keine Spoiler, aber um das zu verdeutlichen zwei Beispiele: An erwähntem Autorennen nehmen unter anderem das Batmobil der 60er, der Van des A-Teams und Stephen Kings “Christine” teil. Die Fahrer bekommen es auf der abenteuerlichen Rennstrecke mit dem T-Rex aus “Jurassic Park” und King Kong zu tun. Und die zu erwartende große Schlacht zwischen Gut und Böse stellt später sogar vergleichbare Szenen in Mittelerde oder Narnia in den Schatten. Wer erkennt alle Teilnehmer auf beiden Seiten?
“Ready Player One” liefert einfach perfekte, grandiose Unterhaltung in ganz großem Stil. Die 140 Minuten vergehen wie im Flug, es gibt kaum Zeit zum Luftholen, schon gar nicht für Langeweile. Und in Sachen Spezialeffekte stockt dem Zuschauer ebenfalls manches Mal der Atem – wobei die Produzenten das große Glück haben, ja ein Computerspiel darzustellen. Soll heißen: Die Figuren in der “Oasis” müssen nicht perfekt sein wie etwa in den neuen Filmen vom “Planeten der Affen”, sondern lediglich den aktuellen, bereits relativ realistisch aussehenden Computer- und Videospielen etwas entgegensetzen. Und das tun sie mehr als souverän.
Ihr wollt mal wieder einen netten Abend im Kino verbringen? Ein paar Stunden der Realität entfliehen? Und ihr seid keine Fans von Marvel oder Star Wars? Dann ist das hier euer Blockbuster des Jahres. Aber denkt dran: “Der Vorteil der Realität ist, dass sie real ist” (James Halliday)…