Mein Kinojahr 2024
Was für ein Jahr, oder? Diese oder eine ähnliche rhetorische Frage können wir alle seit einem halben Jahrzehnt immer stellen, wenn Silvester am Horizon dämmert. Es war also wie inzwischen gewohnt einiges los da draußen. Für mich hat sich die Kino-Situation noch nicht ganz normalisiert, auf ein bis zwei Besuche wie einst komme ich (noch) nicht. Hinzu kommt, dass Hollywood-Streiks und Streaming-Wars dafür gesorgt haben, dass noch immer ein wenig Chaos herrscht, was Neuerscheinungen angeht.
Mit etwas Trickserei komme ich immerhin auf zehn Filme für eine Jahres-Top-Ten. Und los geht’s mit dem Countdown…
10. Rebel Ridge: Gleich zu Anfang (beziehungsweise am Ende der Liste) ein bisschen Mogelei, denn dieser Film ist nur bei Netflix zu sehen und wurde nicht auf der großen Leinwand gezeigt. Der Thriller von Jeremy Saulnier (“Green Room”) war ein Überraschungserfolg bei Kritikern und Zuschauern. Die Handlung: Der ehemalige Marine Terry Richmond (Aaron Pierre) gerät in die Fänge korrupter Kleinstadtpolizisten. In der Folge kämpft er um seine Freiheit und letztlich um sein Leben. Wer einen Action-Kracher wie “Rambo” erwartet, könnte eventuell enttäuscht werden. Es empfiehlt sich, sich einfach auf die Handlung einzulassen. Als Belohnung dafür gibt es einen hochspannendes Drama voller Wendungen und überraschend guter Schauspielleistungen.
9. The Ministry Of Ungentlemanly Warfare: Ich schummele noch ein bisschen weiter, denn diesen Streifen habe ich nicht im Kino, sondern später gestreamt geschaut – seine Auswertung in den Lichtspielhäusern der Republik war nämlich so kurz wie unauffällig. Zu sehen gibt es die Abenteuer einer Einzelkämpfertruppe um “Superman” Henry Cavill und “Reacher” Alan Ritchson, die im Zweiten Weltkrieg gegen Nazis kämpfen. Das kann sich alles sehen lassen, allerdings könnte man Guy Ritchie vorwerfen, sich ein wenig zu offensiv bei Quentin Tarantino zu bedienen. Trotzdem ist dies sein bester Film seit “The Gentlemen” (2019), auch wenn (oder sogar weil) er auf den britischen Charme verzichtet, für den der Regisseur bekannt ist. Apropos: nicht die Pointe am Schluss verpassen!
8. Bob Marley: One Love: “Das Biopic taucht tief in das Leben der legendären Reggae-Ikone ein”, behaupten die zuständigen Marketing-Experten. Ich habe mir den Film gestreamt angeguckt und weiß es besser: Er kratzt an der Oberfläche. Ein Leben – auch das eines Prominenten – verläuft nun mal nicht nach Drehbuch. Dass daher wie bei “Bohemian Rhapsody” ein wenig an der Realität geschraubt wird, ist in diesem Genre fast Standard. Hier nun wird Marleys diskutable Haltung gegenüber Frauen und Bandkollegen allenfalls skizziert, auch wird sein Glauben ausschließlich positiv dargestellt, dessen Konsequenzen für seine Gesundheit bleiben unerwähnt. Nun ja, letztlich geht es um die Musik. Und da gibt es durchaus interessante Einblicke. Kingsley Ben-Adir spielt die Titelrolle mit Charme und Lebensfreude. Beides macht diese Filmbiografie letztlich sehenswert.
7. Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt: Wir bleiben noch ein wenig im Wohnzimmer, denn auch der aktuelle Film mit Adam Sandler ist Teil des Netflix-Programms. Die Verfilmung des Romans von Jaroslav Kalfař hat mit den Komödien ihres Hauptdarstellers nichts zu tun, sondern reiht sich eher in dessen Versuche ein, als ernstzunehmender Schauspieler wahrgenommen zu werden. Dabei schlägt Sandler sich erstaunlich gut. In diesem Science-Fiction-Kammerspiel in der Tradition von “Lautlos im Weltall” oder “Moon” verkörpert er einen einsamen Astronauten, der im All auf eine außerirdische Lebensform trifft und mit dieser philosophische Diskussionen führt. Anfangs hatte ich beim Gucken ein großes Problem, denn Hanuš, der neue Freund des Protagonisten, ist eine riesige Spinne. Im Verlauf der Handlung gewöhnen sich aber auch Arachnophobiker an das Aussehen des friedfertigen Reisenden. Ein Film für die ruhigen Momente im Leben.
6. The Last Kumite: Das gilt für den letzten Streaming-Film in dieser Liste überhaupt nicht. Es handelt sich vielmehr um das Herzensprojekt von YouTuber Sean David, der einige seiner alten Helden zusammengetrommelt und mit ihnen seinen eigenen Martial-Arts-Streifen inszeniert hat. Klar, die Handlung ist zu vernachlässigen. Dafür können sich die Kampfszenen durchaus sehen lassen und die ungezählten Verweise auf die Klassiker des Genres machen einfach Spaß. Wenn Knochen knacken und Blut spritzt, werden Erinnerungen wach an die wilden Abenteuer, die wir uns einst aus der Videothek nach Hause geholt haben. Mit dabei sind etwa Matthias Hues, Cynthia Rothrock (beide unter anderem aus “Karate Tiger 2”), Billy Blanks (“Karate Tiger 5”), Kurt McKinney (“Karate Tiger”) und in der Hauptrolle Mathis Landwehr (“Lasko – Die Faust Gottes”).
5. A Quiet Place: Tag Eins: Mit den beiden ersten Filmen der Reihe hat sich John Krasinski als talentierter Geschichtenerzähler empfohlen. Für deren (zweite) Vorgeschichte macht er auf dem Regiestuhl Platz für Michael Sarnoski (“Pig”). Diesmal erleben wir die Landung der blinden Invasoren aus dem All in New York. Protagonisten sind die todkranke Sam (Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o) und Jurastudent Eric (Joseph Quinn aus “Stranger Things”), die vor den Monstern fliehen müssen und rasch feststellen, dass nur absolute Stille ein wenig Sicherheit bietet. Wie in den Vorgängern ist es faszinierend, sich als Zuschauer dabei zu ertappen, dass man das eine oder andere Mal den Atem anhält. Sogar im Kino war es verhältnismäßig still – und das will was heißen. Insgesamt ein handwerklich solides und wegen der Darsteller sehenswertes Prequel und sicher nicht der letzte Teil der Filmreihe.
4. Ghostbusters: Frozen Empire: Und gleich nochmal New York: Nachdem das Comeback der Geisterjäger alte und neue Helden auf dem Land zusammengeführt hat, lässt der vierte Streich alle in die Großstadt zurückkehren. Ihre Auseinandersetzung mit dem etwas generischen Bösewicht Garraka macht wie gehabt Laune, allerdings macht ein Haken an der Sache den Film zum viertbesten des Franchises. Statt Jason Reitman übernimmt diesmal Gil Kenan die Regie – und der kriegt nicht so richtig in den Griff, dass das gefrorene Imperium viel zu viele Protagonisten hat. Eine Stunde nach Filmbeginn werden uns noch immer neue Charaktere vorgestellt. Damit alte Ghostbusters, neue Ghostbusters und ganz neue Ghostbusters auch allesamt genug Bildschirmzeit bekommen, schiebt Kenan einige von ihnen auf Nebengleise. Eine dieser Nebenhandlungen erinnert an Eichhörnchen Scrat aus “Ice Age” (wie passend), eine andere hätte als Haupthandlung einen besseren Film ergeben. Trotzdem bleibt unterm Strich mal lustige, mal verhalten gruselige und immer charmante Familienunterhaltung.
3. Planet der Affen: New Kingdom: Vom Imperium ins Königreich: Die erste Reboot-Trilogie bestand aus drei großartigen Filmen, die eine epische Handlung und grandiose Spezialeffekte verbanden. Nun steht – hoffentlich – ein weiterer Dreiteiler ins Haus. Dessen Auftakt spielt viele Jahre nach den Erlebnissen von Schimpanse Caesar, der eine Revolte der Primaten gegen die Menschen angeführt hat. Die sind inzwischen weitgehend degeneriert, während die Affen nach und nach die Relikte der Vergangenheit erforschen. “Die große Stärke von ‘New Kingdom’ ist allerdings, wie glaubhaft der Film uns in eine Welt entführt, die bekannt und fremdartig zugleich erscheint”, schrieb ich in meiner Rezension kurz nach dem Kinobesuch. Sollte man sich nicht entgehen lassen.
2. Deadpool & Wolverine: Okay, über diesen Film habt ihr inzwischen alles gehört und gelesen, vermutlich habt ihr ihn auch gesehen. Er hat knapp 1,4 Milliarden Dollar eingespielt. Nicht nur wegen des Umstands, dass wir hier über den ersten Disney-Film ab 18 Jahren reden, ist das beachtlich. Überraschend ist es nicht: Schon der erste Trailer ging seinerzeit durch die Decke. Kurz zur Handlung: Antiheld Deadpool (Ryan Reynolds) und “nicht dieser” Wolverine (Hugh Jackman) metzeln sich durch unterschiedliche Comic-Universen. Es hagelt harte Hiebe und dumme Sprüche, noch mehr gibt es Anspielungen auf andere gezeichnete und verfilmte Geschichten aus der Welt der Marvel-Helden. Ein buntes Dauerfeuer, mit dem die Fans auf ihre Kosten kommen, weil es kaum Wünsche offenlässt und dazu manche Überraschung bietet. Allerdings ist es nicht der versprochene Eintritt der Titelfigur ins MCU, sondern eher der Abschied von der X-Men-Reihe. ’nuff said. Excelsior.
1. Civil War: “Grandios gespielt, meisterlich in Szene gesetzt und von brutaler Wucht”, steht in meiner Besprechung dieses Meisterwerks, das ein “dramatischer Roadmovie, ein bildgewaltiger Blick auf eine Zukunft, die wir noch vor wenigen Jahren als reine Fiktion abgetan hätten” ist. An meiner Meinung hat sich sieben Monate später nichts geändert. Allerdings haben die US-Amerikaner mittlerweile zum zweiten Mal denselben Killerclown zum Präsidenten gewählt und ihr Land damit ein gutes Stück weiter in Richtung der Handlung dieses Films gerückt. Was für ein Jahr, oder?