Insert name here: Die fabelhafte Welt der Amélie
Klar: Mit Filmen und Serien kennen wir uns aus. Und doch haben Kartoffeln manchmal Löcher, Sitzkartoffeln also auch: Wissenslücken. Wer kennt schon jeden Klassiker? Wir jedenfalls nicht. Wollen wir aber. Also rufen wir uns gegenseitig die Titel von Meisterwerken der Filmgeschichte zu, die das Gegenüber noch nie gesehen hat. Und nun gucken muss – und darüber schreiben (natürlich ohne Google).
Kirsten rief: Die fabelhafte Welt der Amélie.
Markus’ erster Gedanke: Ich erwarte Süßliches.
Natürlich sagte mir der Titel was. Ich weiß auch, dass es ziemlich viele Menschen gibt, die gar nicht aufhören können, diesen Film zu preisen. Bekannte von mir haben ihre Tochter nach der Titelfigur benannt. Mit Sicherheit hat er zudem zahlreiche Preise gewonnen. Und steht in so mancher DVD-Sammlung. (Vorzugsweise von Leuten, die alle drei Jahre ins Kino gehen, also zwischen “Titanic” und einer Schnulze von und mit Til Schweiger.)
Ich hatte offenbar eine gewisse Erwartungshaltung, war jedoch bereit, mich dem Abenteuer zu stellen. Französische Liebeskomödien sind – vorsichtig ausgedrückt – nicht mein favorisiertes Genre. Aber oft bestätigen ja Ausnahmen die Regel, und wer nicht über den Tellerrand guckt, versäumt vielleicht was. Vorurteile aus und Augen auf!
Eine sonore Stimme aus dem Off erzählt zunächst eine mit vermutlich “liebevoll” und “skurril” gedachten Details vollgestopfte Vorgeschichte. Wir erfahren, wann und wo die Hauptfigur zur Welt kam, dass ihre Eltern emotionslose Neurotiker waren und sie selbst daher abgeschottet von besagter Welt ihre Kindheit verbrachte. Aus Einsamkeit erschuf sich die kleine Amélie einen Fantasie-Kosmos voller seltsamer Begebenheiten und eigenartiger Rituale. Eine komatöse Nachbarin schläft schon mal vor. Ein gebrauchter Fotoapparat löst Katastrophen aus. Der Goldfisch hat Depressionen.
Mein Problem an dieser Stelle ist nur: Die reale Welt des Films unterscheidet sich praktisch nicht von der erdachten im Kopf der Protagonistin. Das eigenartig bunte Frankreich, das uns gezeigt wird, ist ebenso bevölkert von übertrieben schrägen Charakteren, die nach selbst gewählten Regeln leben. Und es sieht auch genau so aus – nämlich wie eine kitschige Postkarte, die jemand mit kräftigen Wasserfarben auf gewollt abgegriffen getrimmt hat. Ein Setting wie aus dem verschwitzten Traum von Leuten, die schwarze Rosen in Bücher vom Flohmarkt pressen. Und wenn ich “Bücher” schreibe, meine ich “Der kleine Prinz” oder irgendeinen Gedichtband.
Amélies Mutter scheidet aus diesem holzschnittartigen Leben, als ihr eine suizidale Touristin auf den Kopf fällt. Der Vater verabschiedet sich danach endgültig vom Rest der Menschheit. Und irgendwann arbeitet die Titelfigur in einem klischeehaft frankophilen Puppenhaus-Paris als Kellnerin. Der Erzähler lässt uns wissen, dass sie auch in der Hauptstadt weiterhin ihren Tagträumen frönt, ein nennenswerter Unterschied zwischen diesen und dem ach so absurden Alltag lässt sich allerdings immer noch nicht ausmachen. Jeder in Amélies Bekanntenkreis hat eine mehr oder weniger sympathische Macke, und jeder schleppt ein mehr oder weniger langweiliges Problem mit sich herum. Wenn die Kellnerin nicht gerade durch die Ansichtskarten-Metropole stöckelt und alles mit albernen Kulleraugen anstarrt, hat sie offenbar zuviel Zeit. Daher entschließt sie sich, sich in das Leben ihrer Mitmenschen einzumischen, die ihr wegen ihrer Macken am pochenden Herzen liegen, wegen ihrer Probleme aber leid tun.
Unter anderem verkuppelt sie eine Kollegin mit einem Stammgast, lässt den Gartenzwerg ihres vereinsamten Vaters durch die Welt reisen und bringt die Schatzkiste eines kleinen Jungen ihrem inzwischen erwachsenen Besitzer zurück. Als Amélie ein Album findet, in dem eine offenbar verwandte Seele verlorene Passbilder fremder Menschen gesammelt hat, macht sie sich auf die Suche nach seinem Eigentümer. Ich habe wirklich überhaupt keine Lust, auf all das gefühlige Gequatsche und die abstrusen Zufälle einzugehen, die letztlich zum erwartet glücklichen Ende führen. Machen wir’s also kurz: Ja, sie kriegen sich – und ja, die grundgute Kellnerin wird selbst glücklich. Ach, wie schön. Allgemeines Seufzen.
Etwa nach einem Drittel bin ich eingeschlafen. Dieser Film lässt einen wegdösen wie nach einem gemütlichen Kaffeetrinken bei der Großtante, nach zuviel zu süßem Kuchen und viel zu vielen öden Geschichten von früher. “Die fabelhafte Welt der Amélie” ist nach objektiven Maßstäben gewiss kein schlechter Film: Der Soundtrack ist angenehm zu hören (und erinnert sicher nicht von ungefähr an “Good bye, Lenin!” – gleicher Komponist, vermute ich), die Schauspieler haben sichtlich Spaß, die Kamera weiß, was sie tut, die Inszenierung sitzt, das Ganze ist offenbar ein Vorbild für die recht unterhaltsame Serie “Pushing Daisies”. Aber es gibt auch objektiv sauber gehäkelte Spitzendeckchen und objektiv fehlerfrei eingesungene Norah-Jones-CDs. Trotzdem mag ich beides nicht.
Nichts gegen Romantik (in der richtigen Dosierung) und nichts gegen Eskapismus (dafür ist Kino letztlich da). Aber die blassbunte Bonbon-Welt der anstrengenden Amélie – sie ist definitiv nicht mein Zuhause.