Die Farbe des Lebens ist… Orange
Skeptischer ist sicher selten jemand an eine Fernsehserie herangegangen: Gehöre ich überhaupt zur Zielgruppe? Sind nach “Prison Break” nicht alle Knastgeschichten erzählt? Und überhaupt – wenn das alle toll finden, muss ich ja nicht auch noch mitmachen.
Um es vorweg zu nehmen: Ich bin froh, dass ich mich überreden ließ, “Orange Is The New Black” eine Chance zu geben. Diese Serie hat Chancen mehr als verdient. Und all das Lob und die Preise, über die in den vergangenen Monaten viel zu lesen war, obendrein.
Worum geht’s? Wir folgen dem etwas blasierten Blondchen Piper Chapman (Taylor Schilling) ins Frauengefängnis Litchfield, wo die zunächst selbstbewusste Tochter aus gutem Hause 15 Monate absitzen muss. Jahre zuvor hatte sie ihrer damaligen Freundin Alex Vause (Laura Prepon aus “Die wilden Siebziger”) beim Drogenschmuggel geholfen, und nun holt die Vergangenheit sie ein. Das ist ihrer Familie und ihrem anstrengenden Verlobten Larry Bloom (leicht überfordert: Jason Biggs) deutlich unangenehmer als ihr selbst. Erst nach ihrer Ankunft hinter Gittern wird Piper bewusst, was ihr in den kommenden Monaten blüht. Denn das Leben im Knast folgt eigenen Regeln… Wer nun glaubt, diese zu kennen, weil OITNB natürlich nicht die erste Serie ist, die im Gefängnis spielt, stellt spätestens nach zwei Folgen fest, dass die Autoren gerne falsche Fährten legen. Denn in Litchfield ist niemand, wie sie oder er auf den ersten Blick zu sein scheint.
Klischees werden bedient und sofort gebrochen. Es gibt keine klare Grenze zwischen Gut und Böse, weil beide Begriffe keine Bedeutung haben – wie im richtigen Leben folgen die Charaktere ihren Emotionen und eigenen Zielen. Da ist Red, die aus Russland stammende Monarchin der Knastküche (mit explodierter Kurzhaarfrisur und klassischer Janeway-Augenbraue: Kate Mulgrew), Sie schüchtert Piper ein, macht ihr in der ersten Zeit gar das Leben zur Hölle und ist doch selbst eine Frau, die ihre inneren Dämonen mit stolzer Mimik und einem Rest Würde bekämpft. Da ist Lorna Morello (Yael Stone), ein plapperndes Püppchen, das ständig von seiner großen Liebe Christopher schwärmt, hinter Gittern jedoch Trost und Wärme in den Armen der toughen White-Trash-Mieze Nicky Nichols (sympathisch: Natasha Lyonne) findet. Und da ist Crazy Eyes, die eigentlich Suzanne Warren heißt – immer am Rande des Wahnsinns stolpernd, stets im falschen Moment am falschen Ort, aber häufig den richtigen Rat aus ihrem verwirrten Kopf ziehend. Uzo Aduba hat ihren “Emmy” für diese Rolle völlig zurecht bekommen: Sie lebt ihre Figur, mit Blut, Schweiß und Tränen, sie lässt den Zuschauer albern kichern und im nächsten Moment mit kalter Traurigkeit kämpfen.
Ohnehin liegen Lachen und Weinen in diesem Reigen der Gestrauchelten sehr dicht beieinander. Durch die buchstäblich intime Nähe zu den Insassen und dem Gefängnispersonal sind die Gefühle fast greifbar. Sämtliche Darsteller sind mindestens souverän, meistens jedoch großartig (und das bis in die kleinsten Nebenrollen). Ständig reißt das Drehbuch eine neue Falltür auf, schubst eine unerwartete Wendung uns in eine weitere packende Nebenhandlung. OITNB greift sich sein Publikum und zerrt es durch eine so realistische wie spektakuläre Geschichte. Die Leute verändern sich, Gegner werden Freunde, Geliebte zu Todfeinden, und letztlich geht es nur um eins: sich etwas Menschlichkeit zu bewahren in einer grausamen Ausnahmesituation, die für viele der Protagonisten schier unendlich ist.
OITNB macht fast alles richtig. Die Kamera findet ungewohnte Perspektiven und bleibt immer dicht am Geschehen. Die Musikauswahl ist so ungewöhnlich wie passend. Die Dialoge sind häufig brillant. Die Story lässt einen nicht mehr los und legt großen Wert auf Details. Und die Schauspielerinnen und Schauspieler geben alles. Wut und Trauer, Schmerz und Hoffnung, Humor und Hass – all das passiert in schneller Folge, stürzt den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle. Wenn man heißes und kaltes Wasser gleichzeitig aufdreht, wird es lauwarm. Deshalb vermeiden die Produzenten es, Emotionen zu vermischen, sondern sie geben ihnen allen Raum, meist mit hoher Schlagzahl.
Warum nur “fast” alles richtig gemacht wird? Der Handlungsstrang um Pipers wartende Familie und Freunde orientiert sich etwas zu sehr an Woody Allens faselnden Großstadtneurotikern. Aber ohne diesen kleinen Fehler wäre es auch beinahe unheimlich, wie perfekt OITNB inszeniert ist.
Wer noch nicht reingeschaut hat, sollte das definitiv nachholen. Seit “Breaking Bad” gab es keine Serie, die derart süchtig macht. Und so sehr eine Hymne auf das Leben ist.
Ein Gedanke zu „Die Farbe des Lebens ist… Orange“
Kommentare sind geschlossen.