Eine emotionale Achterbahnfahrt mit Kate Mulgrew
Kate Mulgrew (Star Trek: Voyager, Orange is the new black) hat alles richtig gemacht. Am 14. April erschien ihr Erstlingswerk, ihre Memoiren. Titel: “Born with teeth”. Selbst geschrieben, selbst zusammengestellt und nach dem Erscheinungstermin mit einer Buchtour durch die USA wunderbar promotet. Die Kritiken (Miami Herald, The Daily Beast, Cleveland.com, th Online, People Magazine, AARP.org, Washington Post, L.A. Times,, New York Times) waren unglaublich gut. Das Buch schaffte es in die New York Times Bestseller Liste, kletterte dort bis auf Platz 13. Ob sie selbst mit dem Erfolg gerechnet hat, ist zu bezweifeln. Laut eigener Aussage wollte sie, dass die Menschen die Frau hinter all den starken Frauen-Rollen, die sie im Fernsehen verkörpert, kennenlernen. Ihre Geschichte kennenlernen und vielleicht verstehen. Das hat sie eindrucksvoll geschafft.
Was Kate Mulgrew alleine in ihren ersten 25 Lebensjahren erlebt hat, erleben andere Menschen in einem ganzen Leben nicht. Als sie vier war, starb ihre kleine Schwester, ein Säugling, nach Mulgrews Aussage durch ihr Zutun. Als sie Iowa mit nicht einmal 20 verließ und nach New York ging, um dort Schauspielerin zu werden, war eine weitere jüngere Schwester bereits dem Tode geweiht. Gehirntumor, keine Aussicht auf Heilung. Den Moment, in dem Mulgrew ihre Schwester Tessie zum letzten Mal lebend sieht, ist herzergreifend, unglaublich bewegend, fast tut es körperlich weh.
Mit Anfang 20 wird die Jungschauspielerin, die zu der Zeit eine feste Rolle in einer beliebten Seifenoper hat, schwanger. Ungewollt. Sie bekommt das Kind, ein Mädchen, und gibt es zur Adoption frei. Immer im Hintergrund: Mulgrews Mutter, die von Tochter Kate als lebenslustige, verrückte, eloquente, schlagfertige und kluge Frau beschrieben wird. Sie hat ihrer Tochter viel mitgegeben. Auch die Eloquenz, denn Kate Mulgrew reiht sich mit “Born with teeth” in die Riege derer weniger Schauspieler ein, die schreiben können. Sie kann es, und man mag das Buch gar nicht mehr weglegen. Immer auf der Suche nach der nächsten aufregenden Geschichte, nach dem nächsten Drama, der nächsten Aufregung. Und von all dem gab es in Mulgrews Leben reichlich. Sie war vielleicht nicht auf der Suche danach, aber sie war auch niemand, der diesen steinigen und exotischen Wegen ausgewichen ist. Das macht ihre Geschichte so besonders, vielleicht hat sie deswegen überhaupt so viel zu erzählen.
Die Sehnsucht und die Suche nach der verlorenen Tochter treiben sie voran. Es dauert lang, bis sie einen Mann findet, der versteht, was sie verloren hat. Ihre erste Ehe scheint leidenschaftlich, aber nicht von wahrer Liebe geprägt. So wirken die Zeilen, die Mulgrew über die Jahre mit Ehemann Robert Egan schreibt. Nach wenigen Monaten Beziehung wird sie schwanger, verliert das Kind, aber die Hochzeit ist bereits geplant. Also wird geheiratet. Sie wird schnell danach wieder schwanger. Und dann wieder. Bekommt zwei Jungs innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Mulgrew schickt den Leser in schwindlerregendem Tempo auf diese Reise durch ihr Leben. Es ist so rasant, dass es unglaublich wirkt – und dabei wunderbar erzählt.
Die emotionale Achterbahnfahrt nimmt kein Ende und mit jeder Seite mehr, die sorgfältig nach links umgeschlagen wird und den hinteren Buchteil dünner macht, wird klarer, wieso Kate Mulgrew die Frau geworden ist, die sie geworden ist: stark, unabhängig, weise, liebend, authentisch, autoritär. Irgendwo zwischen Kopfschütteln und Tränen hält sich der Leser auf und sucht nach noch mehr Wahrheit. Dass die Memoiren im Jahr 1999 enden, war gewollt. In diesem Jahr fand sie ihre Tochter wieder, in diesem Jahr heiratete sie die Liebe ihres Lebens. Der Mann, der ihr noch fünf Jahre zuvor – kurioserweise in der Woche des Drehstarts von Voyager – mit 49 Rosen das Herz gebrochen hatte.
Es ist fast schmerzvoll, wie ehrlich Mulgrew schreibt. Sie macht keinen Hehl daraus, dass es immer die Arbeit war, die für sie der Heilsbringer war. Nur die Arbeit konnte sie aufrichten, wieder stark machen und sie ihren Weg weiterhin kraftvoll beschreiten lassen. Dass an ihrem Rockzipfel zwei kleine Jungs hingen, die sie an vielem hinderten, an dem sie sich nicht hindern lassen wollte, verschweigt sie nicht. Ihre Liebe für diese Kinder beschreibt sie als grenzenlos. Ebenso aber ihre Liebe zu ihrer Arbeit. Den jahrelangen Spagat zwischen 18-Stunden-Tagen am Set und den wenigen Momenten als alleinerziehende Mutter zuhause hat sie irgendwie bewältigt. Weil sie musste, weil sie wollte, weil sie stark genug war. Dass ihre Söhne ihre Abwesenheit nicht ebenso grenzenlos gut verkraftet haben, beschreibt sie ebenfalls. Sie ignoriert nicht und lässt auch nicht aus, dass es schwierige Zeiten gab, in denen sie als Schauspielerin das Geld nach Hause bringen mussten, während einer ihrer Söhne nachts so lange wach im Bett lag, bis der Scheinwerfer ihres Wagens die Einfahrt und sein Zimmer erleuchtete. Vielleicht machen all diese Beschreibungen das Buch so speziell. Mulgrew hebt sich nicht hervor, sie macht sich nicht zu etwas Besonderem. Sie erzählt aus ihrem Leben, mit allen Höhen und Tiefen. Allein deshalb ist dieses Werk besonders lesenswert.
Derzeit gibt es “Born with teeth” nur auf Englisch, aber wer der Sprache mächtig ist und gerne Memoiren von Fernsehstars liest, sollte diese 320 Seiten nicht auslassen.