Insert name here: In den Straßen der Bronx
Klar: Mit Filmen und Serien kennen wir uns aus. Und doch haben Kartoffeln manchmal Löcher, Sitzkartoffeln also auch: Wissenslücken. Wer kennt schon jeden Klassiker? Wir jedenfalls nicht. Wollen wir aber. Also rufen wir uns gegenseitig die Titel von Meisterwerken der Filmgeschichte zu, die das Gegenüber noch nie gesehen hat. Und nun gucken muss – und darüber schreiben (natürlich ohne Google).
Kirsten rief: In den Straßen der Bronx.
Markus’ erster Gedanke: Schon mal gehört, vermutlich ein Krimi.
Der Vorspann verrät ja meist schon relativ viel über einen Film, zumindest über dessen Produktion. Und so erfahre ich, dass Robert De Niro nicht nur einer der Darsteller ist, sondern erstaunlicherweise auch Regie führt. Das ist schon mal ungewöhnlich. Fast noch ungewöhnlicher: Ein anderer Schauspieler, nämlich Chazz Palminteri, hat das Drehbuch geschrieben. Dass diese beiden mitspielen, verortet das Werk zudem fast automatisch ins Genre des Mafia-Films, aber das hatte Kirsten mir vorab schon verraten.
Bin gespannt, wie alt die zwei Hollywood-Größen hier sind, daran sollte sich ableiten lassen, wann der Film gedreht wurde. Und De Niro spielt bestimmt einen knallharten, zu allem bereiten, über Leichen gehenden… Busfahrer?! Er spielt einen Busfahrer? Keinen Mafioso? Langsam wird’s interessant.
Nachdem mich der eine ewige Film-Gangster am Steuer eines Stadtbusses relativ schockiert hat, bin ich fast beruhigt, dass der andere seinem Image treu bleibt. Ich habe Palminteri zuletzt in “Modern Family” gesehen, wo er seine klassischen Rollen quasi parodiert. Hier erschießt er recht bald einen Kerl, mit dem sich einer seiner “Leute” (so nennt man in Fachkreisen die Untergebenen eines lokalen Mafia-Bosses) um einen Parkplatz gestritten hatte. Augenzeuge des Geschehens ist ein kleiner Junge, dessen Namen ich mir ums Verrecken nicht merken kann, dessen ältere Ausgabe aber die Stimme aus dem Off ist, also die ganze Geschichte erzählt.
Diese spielt, so erfahren wir, zunächst im Jahr 1960 – und erwartungsgemäß in der Bronx in New York. (Keine Überraschungen an dieser Stelle.) Um für ein wenig Lokalkolorit zu sorgen und uns mit der Ära der frühen 60er vertraut zu machen, lässt De Niro einen relativ penetranten Doo-Wop-Soundtrack laufen, den der Erzähler sogar thematisiert. Die Musik eines Films ist für mich immer recht wichtig, da ich sie sehr bewusst wahrnehme. Diese hier ist ziemlich nach vorne gemischt, was das Potenzial hat, mir auf den Zeiger zu gehen. Zudem sind die ersten paar Minuten des Films fast wie ein Musical inszeniert und wirken daher unerwartet lustig. Ich befürchte, das organisierte Verbrechen in dieser Version der Bronx hat eher mit der “West Side Story” zu tun als mit dem “Godfather”…
Der erste Schuss (Parkplatz-Streit und so) katapultiert mich jedoch rasch in eine deutlich härtere Film-Realität. Hier wird durchaus blutig gestorben. Der kleine Junge ist der Sohn des Busfahrers, der sich redlich bemüht, den Nachwuchs von den bösen Buben fernzuhalten. Natürlich üben die auch finanziell erfolgreichen Gangster jedoch eine große Anziehungskraft auf den Kleinen aus. Und nachdem dieser der Polizei gegenüber den örtlichen Paten in Schutz nimmt, beginnt der, sich um ihn zu kümmern. Nein, “sich um jemanden kümmern” ist dabei ausnahmsweise keine Umschreibung für “jemanden erschießen oder mit Betonschuhen in den Hudson River werfen”.
Der Junge wächst also quasi mit zwei Vätern auf, und erstaunlicherweise wird keiner der beiden als eindeutig gut oder böse dargestellt. De Niros Charakter schuftet hart für wenig Geld, rät seinem Sohnemann zu Tugenden wie Fleiß und Pflichtbewusstsein. Palminteris Figur – sie heißt wohl Sonny – warnt ihn unterdessen vor dem wachsenden Rassismus in seinem Freundeskreis und empfiehlt, die Mitmenschen lieber dazu zu bringen, sich vor ihm zu fürchten statt ihn zu mögen. In einem Punkt sind sich leiblicher und angenommener Daddy einig: Man sollte niemals sein Talent vergeuden. Das spielt also sicher später noch eine Rolle.
Der Rest des Films ist acht Jahre später angesiedelt – und glücklicherweise ändert sich damit auch der Soundtrack. Wir hören Dion, wenn es darum geht, das Italiener-Viertel als eher traditionell darzustellen, und Hendrix, wenn es im “neuen” Viertel der Afroamerikaner etwas rauer zugeht. Im Bus des Vaters läuft übrigens immer recht anstrengender Freejazz, was auch immer das bedeuten mag. Der kleine Junge ist jetzt ein Teenie, seine Clique wird immer rassistischer, und sein vor Daddy verheimlichtes Engagement für la familia bringt ihm die Achtung (besser: die Angst) der Nachbarn ein. Mir ist allerdings nicht ganz klar, weshalb der Busfahrer nicht mitbekommt, dass der Bursche mit den Mafiosi rumhängt. Offenbar tratschen Italo-Amerikaner nicht so gern – wer hätte das gedacht?
Die Handlung bekommt Schwung, als sich der Junge in ein schwarzes Mädchen verliebt und dieses seine Gefühle erwidert. Als sei Liebe an sich nicht schon kompliziert genug, finden das seine Freunde und ihre Familie nämlich nicht so toll. Nur Sonny ermutigt ihn, zu der Kleinen zu stehen. (Ist halt ein netter Pate.) Eskalierende Rassenkämpfe kosten die Kumpels des Jungen das Leben, er selbst kommt nur davon, weil Sonny ihn rettet. Als er sich dafür bedanken will, wird der Gangsterboss jedoch vor seinen Augen erschossen – und zwar (so erfahren wir dank des Erzählers) vom Sohn jenes Mannes, den Sonny acht Jahre zuvor umgebracht hatte. So klein ist die Welt oder zumindest die Bronx.
Am Ende steht der Junge geknickt am offenen Sarg seines Ziehvaters, um sich zu verabschieden. Einigermaßen unvermittelt stößt sein leiblicher Vater dazu und versichert der Leiche, er habe Sonny nie gehasst, sondern sich nur um seinen Sohn gesorgt. Offenbar beendet dieses Geständnis den Konflikt zwischen Busfahrer und Stammhalter, und sie fallen sich um den Hals. De Niro lässt den Jungen noch einen Moment allein – und Joe Pesci betritt die Kapelle. Joe Pesci? Ernsthaft? Ja, und zwar wirklich ernsthaft. Anders als gewohnt gibt er hier nämlich nicht die plappernde Nervensäge, sondern Sonnys souveränen Nachfolger. Der Junge könne sich künftig vertrauensvoll an ihn wenden, versichert er. Er sei nämlich nicht nur der neue Boss, sondern zudem der Mann, dessen vermeintlichen Parkplatz-Streit Sonny einst brutal beendete. Ist wirklich verdammt klein, diese Bronx. Sonny lehnt mehr oder weniger ab, und zu guter Letzt lässt uns die Off-Stimme wissen, dies sei nur “a bronx tale” (so auch der Originaltitel des Films, von dem ich übrigens annehme, dass er aus den frühen 90ern stammt).
Mich hat überrascht, wie kurzweilig er war – die zwei Stunden kamen mir vor wie eine. Zwar mag ich meine Mafia-Filme lieber etwas epischer, aber alle Beteiligten haben Respekt verdient. Nicht immer sind gute Schauspieler auch gute Regisseure oder Drehbuchautoren. Die Moral hat sich mir allerdings nicht ganz erschlossen: Der Rat mit dem Talent wurde ein paarmal wiederholt, also scheint er wichtig zu sein. Oder das Ganze ist wirklich nur ein bewusst klein gewählter Ausschnitt vom Leben in der Bronx, den man nicht überinterpretieren sollte. Also lasse ich es. Gut unterhalten wurde ich allemal, für einen Aufstieg in meine persönliche Klassikerliste hat es aber nicht gereicht.