Blick zurück mit Argwohn: Warum klassisches Fernsehen nur selten das Einschalten lohnt
Regelmäßige Leser unseres Blogs erinnern sich: Ende April 2016 habe ich dem klassischen linearen Fernsehen Lebewohl gesagt. Mein Fernseher mag nicht clever sein, smart ist er seither jedenfalls. Das sieht man auch daran, dass er nur noch Netflix, Amazon Video, YouTube, Mediatheken und den Inhalt visueller Datenträger zeigt. “Normales” Fernsehen, am besten noch privates? Vergesst es, braucht keiner, fehlt mir nicht.
Nun ergab es sich vor kurzem, dass ich für ein paar Tage einen Schritt zurück wagte – nicht nur einen Blick. Drei, vier Tage waren es, an denen ich die genannten Anbieter allenfalls per Tablet ansteuerte und die Glotze wieder mal das Programm der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender abspielte. Was hatte sich seit meiner Flucht vor neun Monaten getan? Hatte sich das Angebot verändert? Hatte ich etwas verpasst und wurde nun schmerzlich darauf aufmerksam gemacht? Weiß man gar manches erst zu schätzen, wenn es nicht mehr da ist?
Ich zappte eher lustlos durch die Kanäle und brauchte handgestoppte anderthalb Minuten, um festzustellen, dass ich nichts verpasst hatte, weil sich in der flimmernden Ödnis der deutschen Fernsehlandschaft auch in Generationen nichts ändern wird. ProSieben strahlt mit arroganter Penetranz seine Endlosschleife an Comedy-Serien aus. Auf RTL und Sat.1 läuft wochentags der schlecht abgekurbelte Bodensatz der scripted reality. Und die Öffis halten eisern zu ihrer greisen Zielgruppe – gibt es sowas wie die Durchhörbarkeit beim Formatradio auch im Fernsehen? Nennt man das Durchschaubarkeit?
Um allerdings fair zu bleiben, seien der Vollständigkeit halber ein paar Reihen erwähnt, die notfalls das Einschalten des klassischen Fernsehens lohnen (wobei man sie meist auch in den entsprechenden Online-Archiven findet, also nicht zwingend dem vorgegebenen Programmablauf folgen muss):
- Der “Tatort” im Ersten (beziehungsweise in den Dritten) bleibt, was er ist, und das ist ausnahmsweise gut so – denn es gehört seit jeher zum Konzept des Sonntagabendkrimis, auch den Zeitgeist abzubilden. Einsteigern seien die Dortmund-Fälle empfohlen: Die sind oft düster, manchmal schwarzhumorig und haben Faber (Jörg Hartmann) und Bönisch (Anna Schudt).
- Einer muss ja saubermachen, und “Der Tatortreiniger” (Bjarne Mädel) macht das wie kein Zweiter. Grandiose Kammerspiele sind das, mit toller Kamera und ebensolchen Darstellern. Weshalb der NDR dieses Kleinod allerdings ungefähr in den frühen Morgenstunden und noch dazu in kryptischer Reihenfolge versendet, bleibt ein ungelöstes Rätsel.
- Ebenfalls aus Norddeutschland kommt die Reportage-Reihe “7 Tage” (nein, keine Köpfe). Sehr sehenswerte Dokus kommen dabei heraus, wenn die NDR-Kollegen sich eine Woche lang unter unterschiedliche Bevölkerungsgruppen wie Staubsaugervertreter oder Verbindungsstudenten mischen.
- Wenn die C-Promis im australischen Dschungelcamp Eingeweide und Gemächte futtern, bin ich dabei. Das mag manchen überraschen, einige mögen es verachtenswert finden – aber #IBES ist ein sauber produziertes, extrem unterhaltsames Format, das man zwar moralisch hinterfragen kann, aber mit dem berühmten ironischen Abstand auch einfach mögen darf. Nach dem Ende der aktuellen Staffel widmen wir dem RTL-Quotenhit bestimmt mal einen eigenen Beitrag.
- “Pufpaffs Happy Hour” läuft auf 3Sat und ist Kabarett. Beides macht Fans wie mich zu überheblichen Bildungsbürgern, die gern mal schmunzeln. Wer reinguckt, merkt rasch, dass das Unsinn ist: Sebastian Pufpaff ist möglicherweise derzeit der beste Stand-Up-Comedian der Republik, seine Gäste sind ganz sicher ein bunter Querschnitt durch die Szene zwischen Polit-Kritik und Albernheiten.