Seltsame Reise für starke Mägen und helle Köpfe
Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch – Sherlock Holmes in “Sherlock”) hat alles, was er will: reichlich Geld, ein flottes Auto, schicke Klamotten, eine nette Ex-Freundin (Rachel McAdams – die Freundin von Sherlock Holmes in “Sherlock Holmes”) und vor allem Erfolg im Beruf. Das arrogante Genie gilt als einer der besten Neurochirurgen der Welt, übernimmt jedoch mit Vorliebe jene Fälle, die ihn auf der Karriereleiter weiterbringen.
Unerwartet reißt ein schwerer Verkehrsunfall, den der Arzt selbst verschuldet hat, diesen aus seinem wohlgeordneten Leben. Seine Hände werden verletzt, er wird nie wieder arbeiten können. Unfähig, sich mit seinem Schicksal abzufinden, sucht Strange den Rat einer geheimnisvollen Frau (Tilda Swinton) in Tibet. Gemeinsam mit Meister Mordo (Chiwetel Ejiofor) und Bibliothekar Wong (Benedict Wong – nein, das ist kein Scherz) weiht sie den skeptischen Narziss in die Geheimnisse der Magie ein. Der kühle Logiker lernt, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als er bislang ahnte. Und dass Erde und Himmel keine Grenzen darstellen. Sein neu gewonnenes Wissen muss Doctor Strange schnell anwenden: Der sinistre Kaecilius (Mads Mikkelsen), ein früherer Student der Ältesten, will dem Dämon Dormammu (Benedict Cumberbatch als “Max Headroom”) den Weg zur Erde ebnen. Gut, dass der Doktor verdammt clever ist. Und sein neuer Mantel verdammt schlagkräftig…
Alle paar Jahre erschüttert ein Film die Nerds dieser Welt mit völlig neuen Bildern. Als besonders markantes, weil erfolgreiches Beispiel sei “Matrix” genannt, dessen visuelle Strahlkraft extrem stilprägend für die folgende Generation der Genrefilme war. Jahrelang flogen Pistolenkugeln nur noch in Zeitlupe. “Doctor Strange” ist ein solcher Film.
Wer angesichts des wenig begeisternden Trailers eine “Inception”-Kopie erwartet, wird schon bald eines Besseren belehrt. Dieser Film stellt die Welt, wie wir sie kennen, nicht nur auf den Kopf oder kippt sie zur Seite. Er krempelt sie von innen nach außen, lässt sie explodieren und setzt sie neu zusammen. Es gibt Szenen, die man so ganz einfach noch nicht im Kino gesehen hat. Allenfalls in Fieberträumen. In 3D und mit Dolby Atmos braucht man mitunter einen starken Magen – es gibt keinen Fixpunkt, keinen Horizont, wenn der Doc durch die Dimensionen reist.
Grundsätzlich macht Marvel mal wieder alles richtig. Das MCU ist und bleibt der größte Abenteuerspielplatz der Filmgeschichte. Die Dialoge sitzen, haben Humor und Grips, die Charaktere sind gewohnt gut ausgearbeitet, der Showdown ist einer der ungewöhnlichsten seit langer Zeit. Und wer künftig an Doctor Strange denkt, denkt an Benedict Cumberbatch. Die Story um den geläuterten Egomanen, der zum zaubernden Beschützer der Welt wird, hält sich erwartet eng an die Comic-Vorlage von Stan Lee. (Der natürlich seinen üblichen Cameo-Auftritt hat.) Das bedeutet: Während man optisch in neue Welten vordringt, bleibt es in Sachen Drehbuch bei der klassischen origin story. Das ist aber völlig in Ordnung, denn diese verzahnt sich reibungslos mit den bisherigen Kinofilmen und Serienfolgen, und das will angesichts des Mammutprojekts schon etwas heißen. Ohnehin war nicht zu erwarten, dass Magie als Bestandteil des MCU tatsächlich funktioniert – tut sie aber. Stephen Strange ist charakterlich gar nicht so weit weg von Tony Stark (Robert Downey jr. – Sherlock Holmes in “Sherlock Holmes”), hat aber eine völlig andere Ausrichtung als der technikbegeisterte Milliardär. Es dürfte spannend werden, die beiden demnächst zusammen zu erleben.