Der mit den Toten wandert…
Die Begeisterung war zunächst recht groß, als bekannt wurde, dass “The Walking Dead” einen Ableger bekommt. Und die ersten Promo-Bilder konnten sich ja auch wirklich sehen lassen. Zudem – so versprachen die Produzenten – werde man anders als im vergleichsweise menschenleeren Atlanta in der Metropole Los Angeles sehen, was der Ausbruch der Zombie-Apokalypse in einer Großstadt anrichte.
Nach den ersten Folgen des etwas eigenartig “Fear The Walking Dead” benannten Spinoffs machte sich jedoch Ernüchterung breit: Es fehle an interessanten Charakteren, die Drehbücher seien langweilig und den Beginn der Katastrophe habe man bereits in zu vielen Filmen über Untote gesehen, nörgelten die Kritiker. Und auch die versprochene Action, der Kampf gegen schlurfende Horden, werde nicht gezeigt. Nun bietet Amazon Video bereits die zweite Hälfte der zweiten Staffel an – und es ist an der Zeit, der glücklosen Tochterserie etwas Gerechtigkeit angedeihen zu lassen.
Synopsis
Die Serie erzählt von den Erlebnissen einer Patchwork-Familie um Literaturlehrer Travis Manawa (Cliff Curtis), die miterlebt, wie in L.A. plötzlich die Toten wiederauferstehen und reichlich Appetit auf Lebende haben. Der sichtlich überforderte Pädagoge hat alle Hände voll zu tun, seine Lieben heil durch das zunehmende Chaos zu bringen und gleichzeitig die immer wieder aufbrechenden Konflikte untereinander unter Kontrolle zu halten.
So ist sein Adoptivsohn Nick Clark (Frank Dillane) seit dem Tod seines leiblichen Vaters ein verbitterter Junkie. Und Travis’ Frau Alicia (Alycia Debnam-Carey) verzweifelt mehr als einmal daran, dass das frisch zusammengefügte Familienleben nicht so läuft wie geplant. Nun auch noch vor kannibalistischen Leichen fliehen zu müssen, macht die Situation nicht einfacher. Dennoch gelingt es der kleinen Gruppe, unterstützt vom undurchsichtigen Geschäftsmann Victor Strand (Colman Domingo) und dem gleichfalls mysteriösen Friseur Daniel Salazar (Rubén Blades), die heimgesuchte Großstadt zu verlassen und übers Meer nach Mexiko zu fliehen.
Kritik
Es ist schon was dran: “Fear The Walking Dead” unterscheidet sich nicht nur durch ein Wort im Titel von der übermächtigen Mutterserie, sondern auch qualitativ. Ganz so ausgefuchst wie TWD in seinen besten Momenten ist FTWD nie. Und auch die Charaktere schaffen es nicht ganz so schnell ins Herz des Zuschauers. Wir haben keinen Daryl, keine Carol, nicht mal einen Rick… Aber wenn man dem durchaus ambitionierten Ableger eine Chance gibt, erlebt man mit, wie er zunehmend Fahrt aufnimmt und aktuell dabei ist, sich souverän freizuschwimmen.
Allerdings tricksen die Produzenten sich raffiniert um die angekündigten Massenszenen, also das “neue” Element des beeindruckenden Virus-Ausbruchs, herum. In Los Angeles spielt die Serie häufig in engen Gassen, dunklen Hinterhöfen oder verwinkelten Hochhäusern, so dass wie gewohnt kleinere Gruppen von Beißern die Bedrohung darstellen. Zum Start der zweiten Staffel verlagert sich die Handlung auf ein Boot, was ebenfalls zu kammerspielartig für epische Szenen ist, aber immerhin genug Raum für interessante Ideen bietet: Wenn Wasserleichen hungrig werden…
Und seit einigen Folgen ist die mexikanische Wüste der Handlungsort. Einmal mehr wanken also ein paar Herden von Walkern durch die Ödnis, ansonsten bleibt es bei den bekannten Einzelangriffen und einer größeren Schlacht im Halbdunkel. Kennen wir schon, gab’s in Atlanta auch.
Nur: Darum geht es gar nicht. Ging es auch bei TWD noch nie. Aller Begeisterung der Splatter- und Gore-Freunde zum Trotz ist der eigentliche Kern der Handlung natürlich die Beziehung der Protagonisten untereinander. Während Rick ein knallharter Sheriff ist, der angesichts der blutigen Bedrohung längst über (lebende) Leichen geht, ist Travis eher ein Feingeist, der schlecht damit klarkommt, Gewalt als letzten Ausweg zu akzeptieren. Mit entsetztem Blick taumelt er durch die Endzeit, stellt sich verzweifelt vor seine Familie und versucht, sich in all dem Chaos einen Funken Menschlichkeit zu bewahren.
Auf der anderen Seite haben wir skrupellose Alphamännchen wie Strand und Salazar, beide geübt darin, ihre Ziele brutal durchzusetzen. Doch auch sie werden im Verlauf der Reihe zu vielschichtigen Charakteren, die letztlich angetrieben werden vom Überlebenswillen und von den Geistern ihrer Vergangenheit. Während Strand zielstrebig seinen verschollenen Lebensgefährten sucht, flieht Salazar vor den Gräueltaten, die er selbst in El Salvador begangen hat.
Die spannendste Figur aber ist Nick. Der 19-Jährige glaubt, im Gegensatz zu den anderen nichts zu verlieren zu haben. Immer mehr passt er sich auch optisch den neuen Begebenheiten an. Bis er schließlich blutverschmiert und hinkend in einer Gruppe Zombies über den Highway wandert, einziger Lebender inmitten der Untoten, gebeutelt von dem Wahn, diese würden mit ihm sprechen: “Komm mit uns, wir bringen dich nach Hause.” Es wird spannend, zu beobachten, wie es mit dem jungen Überlebenskünstler weitergeht, nachdem er sich von seiner Familie getrennt hat.
Apropos Spannung: Die guten Folgen von FTWD – und davon gibt es mittlerweile einige – halten durchaus Szenen parat, die einem den Atem stocken lassen. Kaum zu fassen, dass es den Produzenten gelingt, aus dieser im Vergleich zu TWD klassischen Zombie-Story soviel Atmosphäre herauszuholen.
Fazit
Wer “Fear The Walking Dead” eine Chance gibt, wird mit einer weiteren Facette von Robert Kirkmans Untoten-Universum belohnt. Am Anfang ist das Ganze etwas schwerfällig, aber es gewinnt immer mehr an Dynamik und hat mit den neuen Folgen fast das hohe Niveau der Mutterserie erreicht.
Amazon Video stellt jeweils montags eine neue Folge der zweiten Hälfte der zweiten Staffel zur Verfügung.