Netter Netzkopf: “The Amazing Spider-Man”
“Hier kannte ich wirklich alles, jeden Freund, jeden Feind. Und als Mary Jane sich trennte, hat er bei mir geweint.” (Fettes Brot)
Verdammt, so ging es mir auch! Eine Comicfigur, vom großen Stan Lee zehn Jahre vor meiner Geburt erdacht, war der Held meiner Jugend. Peter Parker – Alliterationen sind Pflicht unter Superhelden – war ein schüchterner Nerd, bis der Biss einer radioaktiven Spinne ihm deren proportionale Fähigkeiten verlieh und… gar nichts für ihn besser wurde. Spider-Man hatte Probleme und Sorgen, trauerte um seinen Onkel, machte sich Vorwürfe für dessen Tod, war chronisch pleite, stets in die falsche Frau verliebt, hatte Ärger im Job und konnte trotz Maske und Kostüm nie dieser Misere entfliehen. Oft genug gab’s Prügel, brachten spektakuläre Kämpfe in und über den Häuserschluchten von New York dramatische Konsequenzen für das ohnehin komplizierte Leben des einsamen Helden mit sich. Tod und Verlust waren allgegenwärtig, Freunde wurden zu Feinden und umgekehrt, mehr als einmal drohte das tragische Dasein des Protagonisten zwischen Verlierer und Verbrecherjäger zu zerbröseln.
Aber – und das macht Lees Kreation zu (m)einem Helden – Spider-Man gab niemals auf. Klar, er konnte an Wänden klettern, meterhoch springen und Autos stemmen. Doch er war – anders als der große Konkurrent Superman – kein Übermensch, sondern ein Mensch. Einer mit Fehlern, jedoch auch mit Stärken. Und dazu gehörten nicht nur sein zynischer Humor, sondern vor allem Mut und Optimismus. Kein Wunder, dass ein zehnjähriger Comicfan das klasse fand (trotz Höhenangst und Spinnenphobie). Und kein Wunder, dass er auch mit Ende 30 im Kino sitzt, wenn sein Idol aus Kindertagen über die Leinwand krabbelt.
Obwohl: Ich hatte Vorbehalte. Erste Trailer wirkten, als sei der Film aufs “Twilight”-Publikum zugeschnitten. Außerdem schien es zu früh für ein Reboot (Sam Raimis Spider-Man-Trilogie begann vor nicht mal zehn Jahren), die silbernen Turnschuhe sahen albern aus. Und wer ist eigentlich Andrew Garfield?
Nachdem ich “The Amazing Spider-Man” (so der erfreulicherweise nicht eingedeutschte Titel) gesehen habe, weiß ich: Andrew Garfield ist Peter Parker. Selten hat mich ein Film derart positiv überrascht wie das Spinnenabenteuer von Regisseur Marc Webb (der heißt wirklich so). Das liegt in erster Linie an den Schauspielern, denn längst sind Marvel-Comicverfilmungen häufig nicht nur gute Superheldenfilme, sondern einfach gute Filme. Und dazu gehört ein Ensemble, das weiß, was es tut. Garfield gibt den linkischen Geek, dem sich das Ausmaß seiner neuen Kräfte nur langsam erschließt, so überzeugend, dass es schwerfällt, sich jemand anderen in dieser Rolle vorzustellen. Hollywoods neues Darling Emma Stone macht aus Peters vormals blassem love interest Gwen Stacy eine smarte Persönlichkeit. Dass Sally Field und Martin Sheen ihre Figuren souverän zum Leben erwecken, überrascht kaum. Eher schon Ex-Comedian Denis Leary als knallharter Großstadt-Cop und Rhys Ifans als schizophrener Dr. Connors-Jekyll.
Der Film nimmt sich ungewöhnlich viel Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Das hat er gemein mit einem weiteren überraschend guten Reboot der jüngsten Kinogeschichte, nämlich “Planet der Affen”. Es dauert eine ganze Weile, bis es kracht. Dass es das dann aber richtig tut, nämlich laut, bunt und mitreißend, darf man bei einer schweineteuren Hochglanzproduktion erwarten. Aber auch hier setzt die Neuauflage nochmal einen drauf – was Spezialeffekte angeht, sind “nicht mal zehn Jahre” eben doch eine lange Zeit.
Das Drehbuch ist vergleichsweise schlicht, dafür flutscht die Story und wird nicht durch unnötige Nebenhandlungen ausgebremst. Wo Raimi sich verzettelte, geht Webb seinen Weg – und es gibt glücklicherweise keine peinlichen Tanzszenen. Übernommen hat der Regisseur hingegen das Problem seines Vorgängers, eine Hauptfigur, deren Gesicht man in entscheidenden Szenen nicht sieht, Emotionen zeigen zu lassen. Soll heißen: Spider-Man zieht mal wieder nicht selten seine Maske ab, wenngleich auch diese Skript-Klippe eleganter umschifft wird als bisher.
Was noch? Stan Lee hat selbstverständlich den gewohnten Cameo-Auftritt, C. Thomas Howell einen langen Weg hinter sich (und ist ohnehin niemandem mehr ein Begriff). Es gibt überraschende Wendungen, und wer vor dem Abspann aufsteht, verpasst natürlich was.
Ich jedenfalls freue mich wie ein Zehnjähriger auf die bereits geplanten Fortsetzungen, auf Freunde, Feinde und Mary Jane.
Macht erstaunliche neun von zehn todesmutig zerquetschten Spinnen an der Wand meines Werkzeugschuppens für den besten Marvel-Film nach “X-Men: First Class” und “Avengers”.
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