“American Gods” gilt als neue Kultserie
Eine gute und eine schlechte Nachricht hat der Gefängnisdirektor für Häftling Shadow Moon (Ricky Whittle): Zwar wird er einige Tage früher als geplant in die Freiheit entlassen – der Grund dafür ist jedoch der tödliche Unfall seiner Frau. Die Reise zur Beerdigung wird für den hinter Gittern geläuterten Betrüger und Schläger zum Abenteuer. So lernt er einen undurchschaubaren Fremden kennen, der sich Mr. Wednesday (Ian McShane) nennt und Shadow unbedingt als Handlanger engagieren will. Der Ex-Sträfling nimmt seinen neuen Job eher widerwillig an. Und spätestens, als er von einer Horde gesichtsloser Roboter zusammengeschlagen und aufgehängt wird, erkennt er, dass es im Knast bedeutend ruhiger zuging…
Blut spritzt, Körperteile fliegen meterhoch, Wikinger verstümmeln sich selbst, jemand wird von einer riesigen Vagina gefressen, ein Monsterbüffel hat glühende Augen, ein hünenhafter Leprechaun will sich prügeln, und ein Psychopath besteht aus lebenden Pixeln – die erste Folge von “American Gods” wartet mit einer derart überbordenden Optik auf, dass man sich nach wenigen Minuten wie im Rausch fühlt. Visuell ist das alles so beeindruckend, dass es den Zuschauer atemlos zurücklässt, nachdem er mit weit aufgerissenen Augen das absurde Geschehen aufgesaugt hat.
Die neue Serie von Amazon Video startet mit reichlich Vorschusslorbeeren, was nicht zuletzt an der Vielzahl von Stars vor und hinter Kamera liegt. So stammt die Romanvorlage aus der Feder von Neil Gaiman, für seine Fans einer der größten Geschichtenerzähler der Gegenwart. Und mit Leuten wie McShane (“Deadwood”) und Gillian Anderson (“The X-Files”) ist das als Epos angekündigte Werk durchaus prominent besetzt.
Anders als im Fall von “Lucifer”, das sich eher lose an Gaimans Schaffen orientiert, versprechen die Produzenten zudem, dem grotesken Charme des zugrunde liegenden Buchs gerecht zu werden. Die erste Folge hat Amazon am 1. Mai in seinem Prime-Angebot zur Verfügung gestellt. Man muss nicht so belesen sein wie der Protagonist, um den Dreh der Geschichte zu verstehen: Die Zeit der alten Götter nähert sich ihrem Ende, weil die Menschen nicht mehr an sie glauben. Statt beispielsweise Allvater Odin (dessen wöchentlicher Feiertag der “Wodanstag” ist…) zu huldigen, preisen sie neue Götzen wie die Technik oder die Medien. Und so kämpfen – vor den Menschen verborgen – alte und neue Gottheiten um die Macht auf Erden.
Nach der ersten Folge lässt sich noch nicht viel darüber sagen, wie sorgfältig die Charaktere ausgearbeitet wurden oder wie interessant die Story ist. Aber was Schauwerte angeht, setzt “American Gods” offensichtlich neue Maßstäbe. Sollten die kommenden Teile dieses beeindruckende Niveau halten, haben wir es hier ziemlich sicher mit der aufwändigsten Serie aller Zeiten zu tun. Kleine Warnung allerdings: Allzu zimperlich sollte man nicht sein – mit drastischer Gewalt und explizitem Sex wird nicht gegeizt.
Mal abwarten, ob die Kritiker in aller Welt nur ums goldene Kalb tanzen oder ob die “American Gods” wirklich zum Niederknien sind. Der furiose Auftakt verspricht zumindest einiges.